Luftfeuchte- oder Temperaturschwankungen bringen eingelagerte Salze auf einer Wand zum Blühen. Und richten Schäden an, für die Wandmalereien besonders anfällig sind. Um dieser unguten Entwicklung entgegenzuwirken, behalten Fachleute unterschiedlicher Disziplinen die kostbaren Wandmalereien aus karolingischer Zeit im Westwerk – dem Herzstück der UNESCO-Welterbestätte Corvey – im Auge. Aus einer aktuellen vertiefenden Salzanalytik ziehen sie aufschlussreiche Rückschlüsse zur Schadensbegrenzung und mithin zum langfristigen Erhalt der mehr als 1000 Jahre alten Wand- und Gewölbemalereifragmente.
Die klimaregulierenden Luftentfeuchter in der Erdgeschosshalle und im Johanneschor des Westwerks zeigen Wirkung. Für die Salzminderung in den Wandmalereien haben sich bei ersten Tests bereits gute Lösungsansätze gefunden: Das sind zwei ermutigende erste Erkenntnisse aus der erneuten Salzkampagne im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Ägide der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen, dem in Münster ansässigen Denkmalpflegefachamt. „Wir untersuchen die Zusammenhänge zwischen dem Klima und den bestehenden Schadensbildern an den Wandmalereifragmenten“, erläutert die betreuende Restauratorin des LWL, Franziska Tretow, das Grundanliegen.
Dazu müssen die Fachleute wissen, mit welchen Salzen sie es zu tun haben, wo genau sie sich eingelagert haben – ob auf der Oberfläche oder tiefer im Putz – und an welchen Stellen diese Salze derzeit ausblühen. Im nächsten Schritt geht es dann darum, diese bestandsgefährdenden Prozesse zu stoppen oder zumindest abzumildern.
In die aktuellen Untersuchungen der Salze, ihrer chemischen und mineralogischen Zusammensetzung und der Mechanismen der Schadensentstehung ist Dr. Judit Zöldföldi von der Materialprüfungsanstalt der Uni Stuttgart eingebunden. „Wir haben für unsere zerstörungsfreien Messungen verschiedene Bereiche mit unterschiedlichem Erhaltungszustand ausgewählt“, berichtete die Geologin bei einem Vor-Ort-Termin mit den Restauratorinnen Franziska Tretow (LWL) und Karen Keller (restauratorische Fachbauleitung für das karolingische Westwerk und die barocke Abteikirche) in Corvey.
Eingesetzt hat Judit Zöldföldi die sogenannte Raman- und Röntgenfluoreszenz-Spektroskopie: Mit dieser modernen Methode lassen sich Substanzen durch die Wechselwirkung von Licht mit den chemischen Bindungen eindeutig in ihrer Molekülstruktur zerstörungsfrei und vor Ort identifizieren. Ergänzt werden die Untersuchungen durch Röntgenfluoreszenzanalyse zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung. So auch in Corvey: Die eingelagerten Salze offenbarten sich bei dieser Analyse in ihrer chemischen Zusammensetzung. Entnommene Proben hat die Geologin nach Stuttgart mitgenommen und im Labor untersucht.
Zuerst unter die Lupe genommen haben die Fachleute die Wandmalereifragmente auf der Südwand der Erdgeschosshalle des karolingischen Westwerks. „Wir haben unterschiedliche Salzausblühungen gefunden“, berichtet Dr. Zöldföldi. Typische Salze wie Gips und Kaliumnitrat, aber auch Kaliumsulfat ließen sich nachweisen. Diese Salze kristallisieren unter bestimmten klimatischen Bedingungen aus oder gehen bei höherer relativer Luftfeuchtigkeit wieder in Lösung. An der Südwand im Westwerk haben diese Salze Pusteln hervorgerufen, die sich teilweise in die Zeit nach der jüngsten Untersuchungskampagne von 2017 bis 2019 datieren ließen – also neu aufgetreten sind.
Zu den Auslösefaktoren für diese Entwicklung gehört nicht nur das wechselhafte Klima, an dem die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey inzwischen erfolgversprechend mit Luftentfeuchtern stabilisierende Stellschrauben dreht. „Restaurierungen aus den 1950er und 1960er Jahren kommen erschwerend hinzu“, berichtet Annika Pröbe, Standortleitung Welterbe karolingisches Westwerk und Abteikirche Corvey im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn. Damals wurde auf Teile der Oberflächen ein silikatisches Putzfestigungsmittel aufgebracht. Dieser Wasserglas-Überzug kann von den Wandmalereifragmenten nicht entfernt werden. Das bereitet den Restauratoren auch deshalb Kopfzerbrechen, weil er inzwischen Risse aufweist, versprödet ist und Spannungen an der Oberfläche erzeugt.
In diesem Gefüge treiben auch Salze ihr schädigendes Spiel. Bewegen diese sich durch die feinen Risse der Silikat-Schicht an die Oberfläche, können sie die vor mehr als 1000 Jahren aufgebrachten Farbpigmenten nach vorne drücken und schädigen.
Daher ist Abhilfe geboten. Deshalb haben die Restauratoren gemeinsam mit Dr. Judit Zöldföldi ihre vertiefende Untersuchungskampagne unternommen. Zu der herausfordernden Aufgabe der Salzminderung hatten die Projektbeteiligten für die Südwand eine gute Nachricht: „Die Oberflächen sind widerstandsfähiger als gedacht“, brachte Restauratorin Karen Keller eine erfreuliche Feststellung der Fachleute auf den Punkt. „Wir können also eine vielversprechende Salzbehandlung durchführen.“
Dazu testeten Karen Keller und Franziska Tretow mehrere Materialien. Diese sollen über eine kapillare Saugwirkung die Salze von der Oberfläche entfernen und auch einige Zentimeter in die Tiefe der Wand hinein wirken und so die schädigenden Salze reduzieren. In mehreren Durchgängen arbeiteten sie mit Schwämmen und legten Kompressen, unter anderem aus Buchenzellulose, auf. Dr. Zöldföldi hat das Material mitgenommen und schaut im Labor, welches das meiste Salz aus der Wand holt.
Standortleitung Annika Pröbe und die beteiligten Restauratoren sind ebenso zuversichtlich wie die Geologin aus Stuttgart. Dr. Zöldföldi: „Es ist faszinierend, dass wir konkret widerspiegeln können, welche Salze an welcher Stelle der Wandmalerei die unterschiedlichen Schadensbilder verursachen.“
So wiesen die Fachleute im Johanneschor mit ihren zerstörungsfreien Messungen andere Salze nach als unten im Erdgeschoss. Dabei hat sich, so Franziska Tretow, die berühmte Odysseus-Szene unter der Westempore als erstaunlich stabil herausgestellt. Problematischer sieht es an der Westwand aus. Diese ist – wie auch die Südwand im Erdgeschoss – eine Außenwand. Wir haben jetzt nach den Untersuchungen detaillierte Erkenntnisse gewonnen“, sagt Karen Keller. Diese sind angesichts der aktuell und in den Vorjahren ermittelten Daten belastbar.
Franziska Tretow zieht aus der Salzanalyse eine klare Schlussfolgerung: „Für eine präventive Konservierung ist eine genaue Kenntnis der ablaufenden Schadensprozesse und die Klimastabilisierung das A und O. Die Pustelbildung und deren Veränderungen in relativ kurzen Zeiträumen hätten wir ohne das detaillierte Monitoring so nicht entdeckt.“ Die Zusammenarbeit der Fachdisziplinen trägt zum Erfolg bei. „Das klappt hier in Corvey sehr gut“, zieht die LWL-Restauratorin eine zufriedene Bilanz.
Diese seit Jahren laufenden Messungen und Untersuchungen erweisen der kostbaren karolingischen Bausubstanz also große Dienste. Im Rahmen des bis Ende 2027 andauernden Forschungsprojekts werden die Analysen ausgewertet. Umfangreich gefördert wird die Offensive durch Finanzmittel des NRW-Bauministeriums. Das Erzbistum Paderborn unterstützt die Restaurierungs- und Konservierungsmaßnahmen an den bedeutenden karolingischen Wandmalereien ebenfalls.